Lesezeit: ca. 9 Minuten

Rituale als „Türöffner“

Als Grundschullehrer erlebe ich jeden Tag, wie wichtig es ist, den Kindern Raum für individuelle Lernwege zu bieten. Der Deutschunterricht bietet eine ideale Plattform, um durch gezielte Rituale und strukturierte Lernangebote den Lernprozess zu öffnen. Rituale, wie unsere regelmäßige Schreibzeit, die Lesezeit, der Herzenskreis und Klassenrat, sowie das Wort des Tages, schaffen einen klaren Rahmen, in dem sich die Kinder wohlfühlen und ihre Lernmotivation entfalten können.

Buchstabenmonster

EXKURS: Don’t forget – Diagnostik
Das Buchstabenmonster ist sehr hungrig und möchte mit vielen verschiedenen Buchstaben und/oder Wörtern gefüttert werden.

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Schreib- & Lesezeit

Schon am Tag der Einschulung erhalten die Kinder ihre persönlichen „Milobücher“. Diese Schreibbücher begleiten sie durch die ersten Schuljahre und bieten ihnen die Möglichkeit, eigene Texte/Wörter zu verfassen und passend zu illustrieren. Besonders motivierend ist dabei unsere personalisierte Schreibtabelle, die die Kinder durch Milo & Co. zum Schreiben anregt. Die wöchentliche Schreibzeit nach Beate Leßmann hat sich schnell als ein Lieblingsritual etabliert. Hier gibt es keine Schranken, keine Vorgaben – nur die Freude am Schreiben und die Möglichkeit, das eigene Geschriebene stolz mit anderen zu teilen:

Schreibzeit
Lieblingsritual „Schreibzeit“

Neben der Schreibzeit spielt auch die tägliche Lesezeit (ebenfalls nach Beate Leßmann) eine zentrale Rolle. Durch das (in RLP mittlerweile verpflichtende) „Leseband“, das täglich 10 Minuten stattfindet, stellen wir sicher, dass sowohl die Lesemotivation als auch die Lesekompetenz kontinuierlich gefördert werden. Mit ausgewählten Übungen und einer Auswahl an Comics, Kinderbüchern und (textlosen) Bilderbüchern sorge ich dafür, sorge ich dafür, dass jedes Kind Neugier und Freude am Lesen entwickeln kann – sei es zu Beginn des Schultages (offener Anfang) oder während freier Lesezeiten, zum Beispiel im Rahmen der Lernwege. Alle ein bis zwei Monate treffen wir uns außerdem mit der Patenklasse (3. Klasse) zu einer gemeinsamen Lesestunde. Durch das Programm „Lesen macht stark“ findet eine begleitende Diagnostik statt.

Gleichzeitig braucht es Zeit und Raum, um das Lesen mithilfe sinnvoller Übungen zu automatisieren. Die Lesefertigkeit, insbesondere das Synthetisieren, ist entscheidend für den Erfolg von Leseprozessen, da es die Grundlage bildet, auf der weitere Lesekompetenzen wie das Verstehen und Interpretieren von Texten aufbauen. Beim Synthetisieren müssen Leser einzelne Buchstaben, Laute und Silben zu sinnvollen Einheiten zusammenfügen, um Wörter zu erkennen und deren Bedeutung zu entschlüsseln. Dies ist eine zentrale Voraussetzung, um flüssig zu lesen und Texte schnell zu verstehen.

Der Einsatz von Silben- oder Leseteppichen ist besonders effektiv, da sie das Erkennen von wiederkehrenden Silbenmustern erleichtern und so die Automatisierung des Leseprozesses unterstützen. Automatisiertes Lesen entlastet das Arbeitsgedächtnis, sodass Kinder sich besser auf das Textverständnis konzentrieren können. Solche Übungen fördern den Lesefluss und verbessern langfristig die Lesekompetenz.

Im Anfangsunterricht spielt auch das Vorlesen eine entscheidende Rolle, daher startet jede unserer Lesezeiten mit einer Vorleserunde. Besonders beliebt sind bei uns „Eine Woche voller Samstage“ und „Der Buchstaben-Zauberer“ von Paul Maar (Oetinger) sowie „Buchstabendschungel“ von Ursula Poznanski und Sabine Büchner (Loewe). Diese Bücher begeistern die Kinder und schaffen eine ideale Grundlage, um das Interesse am Lesen weiter zu fördern.

Herzenskreis & Klassenrat

Der Herzenskreis und der Klassenrat sind ebenfalls feste Bestandteile meiner Wochenplanung. Diese Rituale vermitteln den Kindern wichtige soziale Kompetenzen und fördern den gesamten Bereich „Sprechen und Zuhören“, wie er im Deutschunterricht verankert ist. Hier haben die Kinder die Möglichkeit, ihre Gedanken und Ideen einzubringen und aktiv mitzugestalten. Der Klassenrat schafft eine Kultur der Mitbestimmung, die das Selbstvertrauen der Kinder stärkt. Ideen und Gedanken, die im Klassenrat besprochen werden, können sich auf andere Rituale auswirken, indem Kinder in Gespräche darüber vertieft sind und neue Impulse erhalten.

  • Weiterführende Materialien & Infos zum Herzenskreis in diesem →Blogbeitrag
  • Weiterführende Materialien & infos zum Klassenrat in diesem →Blogbeitrag
Wort des Tages
Katja Siekmann: https://katja-siekmann.de/verlag/ [externer Link]

Wort des Tages

Ein weiteres zentrales Element unseres Unterrichts ist das Wort des Tages. Dieses Rechtschreibritual orientiert sich am Prinzip „Hören – Sehen – Denken“ von Beate Leßmann. Gemeinsam mit den Kindern besprechen wir Ankerwörter aus den Arbeitsheften und geeignetes (!) Wortmaterial für den Anfangsunterricht. Ich greife dabei entweder auf die Buchreihe „Grund- und Orientierungswortschatz für die Primarstufe“ (Band 1 – Konsonanten & Band 2: Vokale) von Katja Siekmann oder die Datenbank DORA zurück:

Das wichtigste Wortmuster des Deutschen ist der Zweisilber mit einer betonten und einer unbetonten Silbe, der Trochäus. Er stellt zugleich die Gussform für die deutsche Orthographie dar.

© 2016 DORA: https://dora.hosting.uni-hildesheim.de/main/Einfuehrung.htm, 13.10.24

In der Datenbank DORA [externer Link] der Universität Hildesheim sind ausschließlich zweisilbige, trochäische Basisformen aus dem deutschen Kernwortschatz enthalten. Sie bilden das Fundament des deutschen Wortschatzes und zugleich das Fundament für die Entdeckung der deutschen Orthographie. DORA dient dazu, trochäische Musterwörter nach bestimmten Kriterien gezielt auszuwählen und für die Arbeit im Unterricht aufzubereiten (vgl. Hilfe (ihn.) unter o.g. Link).

„Zirkus Palope“

Im Rahmen dieses Rituals kommen auch Materialien aus „Die Kinder vom Zirkus Palope“ [externer Link] zum Einsatz. Die Schulbuchreihe von Christa Röber, Rafaela Häusle und Magdalena Berchtold verfolgt einen konsequent sprachwissenschaftlich begründeten Ansatz und stellt die Materialien als offene Bildungsressourcen (OER) kostenlos zur Verfügung.

Die Kinder üben dabei zunächst die Beobachtung ihrer Mundbewegungen und reflektieren die Laut-Betonung. Gleichzeitig gibt es passende „Mundbilder“, die bei der Lautbildung und -unterscheidung unterstützen können. Regelmäßig werden darüber hinaus die Betonungsmuster betonte ‚laute‘ (blau) und unbetonte ‚leise‘ Silbe (gelb) geübt. Die Kinder nutzen das vom Lehrwerk bereitgestellte Schema eines Zirkuswagens mit Anhänger, in das sie die Buchstabenfolge silbisch gegliedert eintragen und jede Silbe zusätzlich strukturieren. Dadurch wird der Aufbau der Wörter visuell erfasst und verständlich gemacht (vgl. Begleitbuch für den Unterricht des ersten Schuljahres, Teil 1, Seite 29ff).

Zirkuswagen mit Anhänger, Betonungsmuster erkennen
Zirkuswagen mit Wort „Nene“ / Übung zu den Betonungsmustern

Dieses gemeinsame Arbeiten an Sprach- und Rechtschreibstrukturen ermöglicht es den Kindern, auf ihre individuelle Weise Wörter zu erfassen und die Welt der Sprache zu entdecken.

  • Weiterführende Materialien & Infos zum Wort des Tages in diesem →Blogbeitrag
  • Katja Siekmann →Webseite [externer Link]
  • Die Kinder vom Zirkus Palope (OER)Webseite [externer Link]

Lernwege

Schritt für Schritt führt diese kontinuierliche Arbeit an Ritualen schließlich zu weiteren Öffnungsschritten im Deutschunterricht. Mein Ziel ist es, den Kindern nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie selbstreguliert lernen und ihren eigenen Weg finden können. Dabei orientieren sich die Kinder an strukturierten Teilarbeitsplänen (Lernwegen), die wiederum am Aufbau der Arbeitshefte von Beate Leßmann angelehnt sind. Die Lernwege geben den Kindern den Freiraum, eigenständig zu arbeiten, während sie zugleich klare Leitlinien bieten, die ihnen Sicherheit und Orientierung geben. Die Kreisinputs bleiben dabei unverändert. Zu jedem Laut finden gemeinsame, plenare Phasen statt, um bspw. Übungen zu den Wortmustern, den Mundbildern und Besonderheiten mit allen zu besprechen.

Teilarbeitsplan / Lernweg 1 (Deutsch)

Aufbau der Lernwege:
Der obere Teil des Lernweges zeigt die Laute in der Reihenfolge, wie sie im Arbeitsheft 1 (Dieck Verlag) von Beate Leßmann eingeführt werden. Wichtig dabei ist, dass bei den Vokalen zuerst der Langvokal und später der Kurzvokal thematisiert wird. Auf der linken Seite finden sich die sechs Symbole für die verschiedenen Lernangebote: hören, suchen, nachspuren, schreiben, lesen und digital. Die Kinder markieren in der jeweiligen Lautspalte, welche Lernangebote sie erfolgreich bearbeitet haben.

Das Symbol des Frosches repräsentiert das Arbeitsheft 1 (auch „Froschheft“ genannt). In der Froschzeile kreuzen sowohl die Kinder als auch die Lehrkraft nach erfolgreicher Kontrolle des Heftes an. Unter dem Laut-Bereich befinden sich fünf zusätzliche Übungsfelder, die flexibel in den Lernweg integriert werden können. Hier hat die Lehrkraft die Möglichkeit, nach Bedarf Aufgaben aus der „Rechtschreibbox 1“ von Beate Leßmann oder dem „Zwergenheft“ (Grundschrift, jandorfverlag) auszuwählen und den Kindern individuell zuzuteilen.

Zusätzlich können die Kinder vier Schreib- oder Lesezeiten à 10 Minuten absolvieren. Diese werden mit einer Sanduhr gemessen und ebenfalls im Lernweg dokumentiert. Die Giraffe Susi steht für ein kostenpflichtiges Webportal (schreibsusi.de), auf dem die Kinder ebenfalls zusätzliche Online-Übungen absolvieren können.

Durch diese Struktur wird den Kindern ein klarer, aber dennoch flexibler Rahmen geboten, in dem sie selbstständig arbeiten und ihren Fortschritt nachvollziehen können.

Lernwege in Mathematik folgen...

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